Rede von Ludwig Stauner auf der Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht 1938 am 09.11.2019 in Aschaffenburg

Ludwig Stauner, Friedenstrommler
Rede hinter der Sandkirche, Aschaffenburg, Gedenktag Pogromnacht für 9.11.19
„Es sind Grenzen“ sagen manche, doch es gibt sie nicht - Es sind vielmehr gemeinsame
Erfahrungen des Scheiterns und des Neuanfangs. (LS)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bürgerinnen und Bürger,
unsere Landsleute reisen gerne und bewundern Bauwerke und Kunstdenkmäler,
oftmals ohne soziale, politische oder wirschaftliche Gegebenheiten aus der Zeit der
Entstehung der Gebäude zu bedenken. - Ausnahmen gibt es mit guten
Reiseführern. - Heute und hier will ich kurz an die nicht mehr existierende große
Synagoge von Straßburg erinnern, denn es ist bedeutungsvoll, über unsere Stadt
AB und unser Land hinauszublicken, auf das, was unsere Landsleute damals in der
Zeit der Naziherrschaft verbrochen haben. - Zwei Fotos werden verteilt. -
- Wenn wir auf das Foto aus der Zeit nach der Fertigstellung der Synagoge 1898
blicken, könnten wir sagen: Dieses Gebetshaus könnte im Baustil auch eine Kirche
oder eine Moschee sein mit Türmen und Fensterrosetten etc., aber es war die
große Synagoge von Straßburg.
Zu lesen ist auf einer Bronzetafel neben dem Plakat mit dem Foto am Quai St.
Jean, dass 1940 diese Synagoge niedergebrand wurde und 1941 dem Erdboden
gleich gemacht wurde. Am Ort der damaliagen Synagoge befindet sich heute eine
Tiefgarage und die Gedenktafel mit den Ereignissen in französischer, englischer
und deutscher Sprache. Ein Vers aus dem Buch des Propheten Jesaja 56, 5 ist in
Hebräisch vor den anderen drei Sprachen eingraviert; er lautet: Ich will ihnen in
meinem Hause und in meinen Mauern einen Ort und einen Namen geben.
Jetzt können wir die Verbindung von hier in Aschaffenburg zu den damaligen
Ereignissen von 1940/41 in Straßburg herstellen. In der Zeit der Naziherrschaft
sollten Schutzmauern, Häuser und Namen der jüdischen Bürgerinnen und Bürger
hier und anderswo nicht errichtet, sondern ausgelöscht werden, jeder Mensch als
Andersdenkender und andere Volksgruppen sollten vernichtet und, wie es hieß,
ausgemerzt werden. - Nur zögerlich und mühsam ist es nach dem Zweiten
Weltkrieg gelungen, die gequälten und getöteten Menschen durch Benennung und
Erinnerung etwas zu heben, mit neuen Orten an denen wir ermahnt werden.
Leider haben wir in Teilen Deutschlands heute wieder Gegenbewegungen: Anstatt
Wertschätzung und liebende Erinnerung,; wir merken eneut Gleichgültigkeit,
Ausgrenzung und auch das Vergessen der historischen Realitäten und Verbrechen.
Ein Teil der Bevölkerung meint, sie sei geheilt oder wir Deutschen seien doch
wieder die besseren Menschen.
Diese gefährliche Denke lauert im Privaten, in den Verhältnissen der Arbeit und
auch in Teilen der politischen Streitkultur.
Nochmal zum Geschehen von 1938: Vor einer Vernichtung ereignet sich zunächst
viel Leid: Rausgezogen aus den eigenen vier Wänden, Trennung von Partnern und
Familien, Schrei der Kinder und der alten Menschen, und schließlich die
Misshandlungen und Schläge vor und hinter Gefängnismauern und Arbeitslagern.
Heutzutage können wir hingegen schneller in unserer großen und doch kleinen
Welt beobachten, was geschieht und wo Menschenverachtung geschieht. Wir
können Länder benennen, wo Menschenrechte mehr oder weniger täglich verletzt
werden. Wir merken auch, dass wir uns noch nicht und wohl niemals am Ende
unseres Engagements für die praktische Umsetzung der Menschenrechte sehen
dürfen. Dabei steht es uns immer gut an, vom hohen Ross des Hochmuts
herabzusteigen und auf Augenhöhe mit anderen Menschen zu kommen.
Und schließlich geht es um eine politische Einflussnahme: Wir erkennen, dass die
leibhaftigen Zeichen, Bewegungen und Proteste auf den Straßen und Plätzen der
Welt von großer Bedeutung sind. Wir kritisieren die selbstgerechten Taktiker, Planer
und Strategen in den Hinterzimmer, die immer noch verkünden, dass es auf ein
Wachstum von Konsumgütern und Finanzen ankommen muss. Viele andere haben
jedoch dagegen erkannt, dass es um eine Umsteuerung gehen muss, die bewirken
muss, dass ein guter Lebensstil mit Verzicht auf Überfluss das Gebot der Stunde
sein sollte.
Verneigen wir uns also vor den Vielen, die uns mit ihrem stillen oder lauten Protest
und sogar mit dem Einsatz ihres Lebens gezeigt haben, wie ein anderes und
besseres Leben sein sollte, ein gemeinsames Leben, das die große Überschrift
„Solidarität“ verdient. - Auf geht`s.
Ludwig Stauner
Betriebsseelsorger
Friedenstrommleraktivist
Rede von Dorothea Litzba auf dem Ostermarsch 2019 in Aschaffenburg

Rede von Dorothea Litzba, Attac, Friedenstrommler
diesmal ein extra Hallo denjenigen, die in den 80-er Jahren eine heiße Zeit hatten. Damals wurden in Europa nukleare Mittelstreckenraketen stationiert,.
und wir haben zu Hunderttausenden dagegen protestiert. Mit Erfolg. Im INFVertrag zwischen USA und
Sowjetunion wurde der Abzug der Waffen vereinbart, Produktion und Stationierung wurden verboten.
Zwar nur an Land und nicht auf See, aber der Vertrag hatte Bestand. Bis ihn der US-Präsident
letzten Oktober aufkündigte und Russland nachzog.
Nächstes Jahr läuft auch der New START-Vertrag für Interkontinentalraketen aus, und einer
Vertragsverlängerung hat nur Russland zugestimmt. Eine Katastrophe bahnt sich an, wenn wir es
zulassen, dass mit atomarer Gewalt über unser Leben bestimmt wird!
Nach der Abrüstung konnten wir uns noch oft die größte US-Interkontinentalrakete live
ansehen, die Titan II, wenn sie Astronauten oder Wettersatelliten ins All beförderte. Für den
Kampfeinsatz vorgehalten wird jedoch die wendigere Minuteman III-Rakete, die viele von
uns aus dem atomaren Katastrophenfilm „Der Tag danach“ kennen. Heute warten in fünf
US-Staaten noch 449 dieser Höllenmaschinen in unterirdischen Silos darauf, aufzusteigen
und irgendwo auf dem Erdball den tödlichen Feuersturm auszulösen.
Minutemen werden pikanterweise auch die diensthabenden Offiziere genannt, weil sie nur
Minuten Zeit für die Startprozedur haben. Diese Soldaten haben extremen Drill durchlaufen,
und jeder von ihnen trägt eine Pistole bei sich: Falls der Kollege am Starter sich auffällig
verhält, wird er erschossen.
Die Minuteman III-Rakete hat drei Kernsprengköpfe, jeder davon mit eigener Zieleinstellung.
Im Kalten Krieg war jede Schwadron mit 50 Raketen darauf eingerichtet, 150 sowjetische
Städte samt ihrem Umland zu vernichten. 150 bewohnte Städte! Im Kalten Krieg war das
nichts Ungewöhnliches. Die Militärstrategen wollten, dass für die Zerstörung einer Stadt die
50-fache Sprengkraft vorgehalten wurde. Ein Großteil der Bevölkerung sollte ausgelöscht
werden, um die Kriegsmüdigkeit zu schüren! Ob dieser Zynismus noch heute wirkt? Es sieht
leider sehr danach aus.
Für die Zerstörungskraft der ballistischen Raketen sind die Sprengköpfe maßgeblich, egal, ob
sie als Interkontinental- oder als Mittelstreckenraketen ausgelegt sind. Aber wenn US-
Atomraketen in Europa aufgestellt werden, verkürzt sich die Flugdauer für Ziele im Osten
dramatisch. Massive Aufrüstung und gleichzeitig Ausdehnung des NATO-Einflussbereichs in
Russlands Nachbarschaft – muss Russland das nicht als lebensbedrohlich auffassen? Und
sollte das nicht wiederum bei uns die Furcht wecken, dass Europa Ziel eines Vernichtungs-
schlags wird?
Bei Übungen im Raum Nordsee, Ostsee und Schwarzes Meer treffen sie jetzt schon laufend
gefährlich aufeinander: Flugzeuge und Schiffe von NATO-Staaten und Russland, die mit
ihren Mittelstreckenwaffen ganze Städte verglühen lassen können. Selbst die kleinste
Nuklearwaffe tötet mit verheerender Wirkung. Panzer-Haubitzen können Ziele in 30 km
Entfernung beschießen. Diese Mini-Nukes erzeugen einen kilometergroßen Feuerball – mit
nuklearem Fallout.
Dabei warnen uns die Friedensforscher: Je besser die Waffentechnik, desto niedriger die
Schwelle zum Waffeneinsatz. Wenn Militaristen überzeugt sind, den Feind schlagen zu
können, erhöht sich ihre Bereitschaft, einen Krieg anzuzetteln. Einen großen
Vernichtungskrieg. Und den würde Europa nicht überleben.
Für den Bau der Atombombe wurde wegen der Unmenge an Rechenoperationen der
Computer erfunden. Um seither Kriege vorzubereiten, kamen Satellitensysteme und
Künstliche Intelligenz hinzu. Die Waffen werden stetig perfektioniert. Durch immer genauere
Zielansteuerung sollen Kollateralschäden (!) vermieden werden und durch irrsinnig
gesteigerte Zerstörungskraft sollen sie jeglichen Gegner abschrecken. Wer sich entgegen-
stellt, soll mit absoluter Sicherheit ausgeschaltet werden, und zwar so, dass er erst gar nicht
mehr zum Zug kommt. Der atomare Erstschlag ist wieder Option!
Der nukleare Overkill solle beseitigt werden, sagen die USA und setzen auf die Weiter-
entwicklung autonomer Waffen, die ihr Ziel selbst finden. Autonome Waffen, welche
Perversion! Seelenlose Roboter entscheiden über den Tod von Menschen! 1,2 Billionen US-
Dollar sind für die Entwicklung der neuen Waffengeneration eingeplant. Dazu werden
Bomben gehören, die noch während des Falls ins Ziel gesteuert werden können, um
unterirdisch Bunker, Gebäude und Tunnelsysteme durch atomare Erdbebenwellen zu
zerstören. Sie sollen auch in Büchel stationiert werden.
„Es geht um unsere Sicherheit“, tönt es aus den Militärhochburgen, und führende Politiker
und Medien beten es nach. Doch was sie predigen, ist schiere Konfrontation. Bei der RAND-
Corporation, der Denkfabrik der US-Militärführung, werden pausenlos Überlegungen zu
Europas vorgeblicher Sicherheit angestellt. Dazu erbrachte kürzlich ein RAND-Vertreter
einen Vorschlag, der das Blut gefrieren lässt: Man könne ja die russischen Waffensysteme
durch Ausschalten ihrer elektromagnetischen Steuerung lahmlegen; man müsse nur eine
kleine, zielgenaue Atombombe über dem Kreml zünden. Eine kleine Atombombe!
Liebe Friedensbewegte!
Wir dürfen nicht länger stillhalten. Wir müssen wieder laut werden
und Abrüstungsverhandlungen fordern. Atomwaffen verbieten! Bringt das Thema zur
Sprache, vernetzt Euch! Und verlangt von den politisch Verantwortlichen, dass sie sich für
den einzig wirksamen Schutz vor dem Krieg einsetzen: für die gegenseitige Verständigung,
für Verträge, die in Kooperation statt in Konfrontation münden.